Von einem späten Sommer

Museum Geschichten, Dr. Miloš Říha, 2004

Nicht jeder versteht es mit seinen eigenen Worten irgend einen wirklich starken Eindruck seiner Umgebung mitzuteilen, in dem er sein tägliches Leben lebt. Täglich treffen wir schöne Dinge, aber wenn wir unsere Beobachtung oder unser Erlebnis einem anderen mitteilen wollen, dann suchen wir nach Worten und helfen uns mit den gediegensten Äußerungen erfahrener Autoren. Es existieren zwei wenig bekannte Zeugnisse von Besuchern des Königswarter Schlosses, die wirklich der Erwähnung wert sind, auch wenn seit dem Besuch des zweiten 122 Jahre vergangen sind und bei dem ersten sogar 160 Jahre.

Die Atmosphäre des Schlosses in der 1. Hälfte des 19. Jh. benützte der Schriftsteller des Böhmerwaldes Adalbert Stifter in seinem Roman „Nachsommer“. Wenn der Gastgeber des „Rosenhauses“ die Pilger durch die Schlossbibliothek führt und durch die einzelnen Salons mit reichen künstlerischen Sammlungen, Grafiken oder künstlerisch bearbeiteten Steinen, dann ist das so, als ob wir den Erzählungen von Königswart lauschen würden.

Adalbert Stifer wurde 1805 als Sohn eines armen Leinwebers im Böhmerwald in der Gemeinde Oberplan geboren. Er besuchte das Klostergymnasium der Benediktiner in Kremsmünster und ab 1826 studierte er an der Wiener Universität zuerst Recht, später besuchte er Vorlesungen in Mathematik, Naturwissenschaften und Kunstgeschichte. Die Abschlussprüfung legte er aber nicht ab. Unter einem Pseudonym veröffentliche er seine ersten Gedichte. Lange wägte er ab zwischen einem Dichter, Wissenschaftler oder Maler. Es interessierte ihn hauptsächlich die Landschaftsmalerei und er war ein großer Beobachter der Natur. Detailliert beschrieb der die totale Sonnenfinsternis am 08. Juli 1842.

Er verdiente sich auch etwas als Privatlehrer in den Wiener Adelshäusern, wo er auch in den Literatursalons wirkte – v.a. bei den Schwarzenbergern und Metternichs. In den Jahren 1843 – 1846 unterrichtete er dem Prinzen Richard, dem ältesten Sohn des österreichischen Staatskanzlers, Physik und Mathematik. Auf den jungen Prinzen hatte Stifter einen starken erzieherischen Einfluss, auch durch seine Ansichten über Moral, Humanität und Toleranz. Der Hauslehrer besuchte auch das Schloß in Königswart und in späteren Jahren kehrte er hierher einige Male zurück. Gerade hier formulierte er seine starken Eindrücke für das Kapitel des Romans, der im Jahr 1857 herausgegeben wurde.

Im Revolutionsjahr 1848 wurde er nach Linz eingezogen. Er nahm an den archäologischen Ausgrabungen alter römischer Denkmäler in Oberösterreich teil. Im Jahr 1850 wurde er Inspektor der oberösterreichischen Volksschulen und 1854 Schulrat. In den letzten Jahren seines Lebens war Stifter schon sehr krank. In den Jahren 1865 – 1867 war er immer im Mai zur Kur in Karlsbad und nahm sich die Zeit, auch nach Königswart zu fahren. Die Probleme mit der Leberzirrhose nahmen nicht ab und Stifter verfiel oft in Depressionen. In der Nacht vom 25. auf 26. Januar 1868 schnitt er sich mit dem Rasiermesser in den Hals und am 28. Januar starb er.

Stifters „Nachsommer“ ist vor allem ein Erziehungsroman. Die edlen Gespräche und die erhabenen Gedanken der Akteure haben deutliche Erziehungssendung. Es ist überhaupt keine einfache Lektüre. Friedrich Hebbel versprach einst demjenigen die polnische Krönungskrone, der diesen Roman bis zum Ende lese....

Einige wunderbare Augusttage verbrachte im Jahr 1882 in der Umgebung des Schlosses und des sonnendurchfluteten Schlossparks Alois John, der ins Schloss nach Königswart fuhr, um Handschriften und seltene Drucke in der Schlossbibliothek zu studieren. Zu dieser Zeit war schon Richard von Metternich der regierende Fürst und mit der Weisheit des ehemaligen Schülers von Stifter machte er gern dem jungen Studenten seine reichhaltige Bibliothek zugänglich. "Es war ein Wühlen in Schätzen, die ersten Orientierungs- und Ueberblicksarbeiten", schreibt nach den Jahren John, "eine Wonne, in diese erlauchte Gesellschaft hoher Geister nach Herzenslust hineingreifen zu dürfen, auf den Schränken zu stehen, die Rolleitern zu schieben, zur Decke emporzuklettern und sich dann mit einem kostbaren oder seltenen Geist in ein Fauteuil zu lehnen, während der schwüle Brodem des warmen Augusttages durch das offene Fenster hereinwehte, der Kies heiß und scharf flimmerte und die Fontäne schläfrig frisch vom Schloßhof herauf plätscherte." Wie er weiter schreibt, mit Schaudern erinnerte er sich "der dumpfen modrigen Lese-Säle Wiens, der gedrückten Enge, des grauen heißen Steinmeeres, von keinem Grün erquickt, des heißen Dampfes, der von dem Asphalt ausstieg, der staubigen erstickenden Luft in den Gassen, die mich fiebern machte. In diesen stillen Schloßsälen, dieser schläfrig müden Eleganz, diesen schweigsam stehenden Bücherreihen aber ergriff mich eine nie gefühlte Lust des Forschens und Entdeckens, eine Begier Herr zu werden über diese Welt und nicht zu ruhen, bis ich diese Bücherwelt geistig bewältigt." Glauben Sie mir, besser hätte ich das selbst nicht ausdrücken können.